Götz Kubitschek hatte auf diesem Blog die rumänischen Ereignisse als nahe Verhältnisse untersucht:
In Rumänien hatte das Verfassungsgericht im Dezember entschieden, den ersten Gang der Präsidentschaftswahl zu annullieren. Călin Georgescu, rechtsgerichtet, hatte ihn “überraschend” gewonnen. Es war etwas geschehen, das diejenigen, die davon ausgehen, stets alles im Griff zu haben, nicht auf der Karte hatten.
(…) Die Entscheidung in Bukarest ist ein Staatsstreich von oben, nichts anderes.
Das Resultat dieses Prozedere war, daß ein rechter »Ersatzkandidat« der gemäßigteren und EU-konformeren AUR-Partei als Einheitskandidat der vereinigten Rechten antrat.
Die Tagesschau meldet nun, ein wenig verbittert:
Bei der Wiederholung der Präsidentenwahl in Rumänien hat der ultrarechte Kandidat George Simion im ersten Wahlgang einen deutlichen Sieg errungen. Der Vorsitzende der rechtsradikalen Partei AUR liegt mit rund 40 Prozent der Stimmen klar in Führung.
Sein Gegner in der kommenden Stichwahl wird der Liberale Nicusor Dan sein, parteiloser Bürgermeister von Bukarest. Er vereinte 21 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich und überholte reichlich knapp Regierungsfreund Crin Antonescu, der nur 20 Prozent erzielen konnte.
Am 18. Mai wird also erneut gewählt, und ich möchte vorher auf eine Besonderheit sowie auf eine These hinweisen, die jeweils mit der Rumänienwahl zu tun haben:
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Die Besonderheit:
Das Zünglein an der Waage dürfte die ungarische Minderheit sein. Fast eine Million, die meisten von ihnen Szekler, sind im rumänischen Staatsgebiet wahlberechtigt – und wählen, das zeigt bereits der erste Wahlgang, einigermaßen geschlossen EU-freundlich und liberal, dürften also gegen Simion stimmen. Gemeinsam mit der Wählerschaft der im ersten Wahlgang gescheiterten Kandidaten, die sich derzeit in einem »breiten Bündnis« gegen »rechts« formieren, dürfte die Stichwahl zugunsten Dans entschieden werden.
Nun kann man aber aus diesem besonderen Fall allgemeine Rückschlüsse ziehen: Denn es ist eher die Regel als die Ausnahme, daß Minderheiten, die über ein starkes identitäres, gemeinschaftsorientiertes und nationales Empfinden verfügen, Politiker bzw. Parteien unterstützen bzw. wählen, die hernach eine Politik betreiben, die im Kern weder identitär noch gemeinschaftsorientiert noch national dargeboten wird, sondern liberal und individualistisch.
Es handelt sich, so trivial wie folgenschwer, darum, daß sich nationale Minderheiten, die sich ihrer selbst bewußt sind, gegen den als übergriffig und oft als fremd wahrgenommenen Zentralstaat opponieren. Rechte Ungarn wählen in Rumänien linksliberale Politiker, volksverbundene deutschstämmige Oberschlesier in Polen unterstützen linksliberale Plattformen, identitäre Katalanen plädieren in Spanien für antinationale, unverhohlen links geprägte Parteienbündnisse usw. usf.
Das Schema ist klar: Die Abkehr vom bzw. die Schwächung des zentralstaatlichen Wesen sieht man als Möglichkeit, die eigenen ethnokulturellen Interessen stärker vertreten und gewichten zu können.
Das stimmt, im Falle Rumäniens, kurzfristig sicherlich: Ein liberaler, EU-konformer Kandidat, der in Bukarest regieren wird, dürfte stärker EU-Minderheitenrechte beachten als ein klassischer Nationalkonservativer. Doch langfristig gedacht: Würde den Ungarn, die ihrem von den EU-Eliten befehdeten Heimatland bekanntermaßen verbunden sind, nicht eine Schwächung der linksliberalen Hegemonie auf dem gesamten Halbkontinent eher entgegenkommen?
Und übergeordnet gedacht: Wird es auf EU-europäischer Ebene, vermittelt über die drei existierenden Fraktionen im Europäischen Parlament rechts der »Mitte«, endlich Denk- und Strategieansätze geben, wie man mit diesem Widerspruch – sehr vereinfacht: identitäre Europäer wählen anti-identitäre Parteien zur kurzfristigen Nutzenmehrung – umzugehen hat? Gibt es hier Auswege aus der Problematik, die gesamteuropäisch zu gestalten wären?
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Nun zur These:
Simon Dettmann, seit 2024 auch Autor dieser Zeitschrift, hat bei X auf die Unterschiede zwischen Călin Georgescu, dem im Zuge des Lawfare des Establishments gestrichenen Rechtskandidaten, und George Simion, dem angetretenen Rechtskandidaten, hingewiesen. Sein Standpunkt: It’s the Geopolitik, stupid!
Konkret schreibt er:
Die „Geopolitik-first“-Fraktion hat von Tag zu Tag bessere Argumente auf ihrer Seite:
1. In Rumänien darf der Prowestler George Simion mitspielen, die Antiwestler Calin Georgescu UND! Diana Sosoaca dagegen nicht. Dabei ist auch Simion ein strikter Einwanderungsgegner.
2. In der BRD darf nun auch die Linkspartei auf Bundesebene mitreden – unmittelbar nachdem sie ihren westkritischen bis antiwestlichen Flügel in Form des BSW abgestoßen hat. Folglich gilt das Primat der Geopolitik. Was die Herrschenden wirklich fürchten, ist der Blockwechsel.
Das sind Positionen, die ein Minderheitsflügel der deutschsprachigen nonkonformen Szenerie, etwa Dimitrios Kisoudis, schon länger so oder so ähnlich vertreten.
Es wäre demnach kein Zufall, daß eine ehemals »harte Rechte« wie Giorgia Meloni, die innen- und gesellschaftspolitisch nationalkonservativ agiert, von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg herzlich behandelt wird, daß EU-Ikone Ursula von der Leyen Meloni umstandslos einbettet, daß selbst deutsche Grüne in Meloni keine Gefahr mehr erkennen können – all das, weil sie eben im geopolitischen Rahmen den »freien Westen« verherrlicht, die Ukraine stärken möchte und ihre EU-Kritik durch EU-Affirmation ersetzt hat. Primat der Geopolitik hieße hier: Die Herrschenden verzeihen reaktionäre Flausen, solange die geostrategische Generallinie gewahrt bleibt.
Man könnte hier auch Alain de Benoist ins Spiel holen, der in der JF (Nr. 17/2025) formulierte, daß der »herrschenden Klasse«, sprich: jenen linksliberalen westlerischen Eliten, die derzeit die EU dominieren, angesichts des Rechtsrucks in den Völkern Europas »nur noch ein Ausweg« bleibe: »den Vertretern der unerwünschten Stimmen die Teilnahme an Wahlen zu verwehren«, um hernach, so darf Benoists Gedankengang ergänzt werden, sie durch westkonformere Kandidaten, siehe Rumänien (Simion statt Georgescu) und Frankreich (Bardella statt Le Pen), zu ersetzen.
Ein Rechter kandidiert weiterhin, das kann man womöglich nicht zur Gänze und in jedem Fall verhindern – aber dann wird es eben ein solcher, der sich der geopolitischen Konsensmaschinerie nicht widersetzt, sondern sich einfacher, schneller und widerstandsärmer einbauen ließe.
Gegen diese These spräche, daß die Sortierungskämpfe im »Westblock«, die Trump und Vance angestoßen haben, den von Dettmann angesprochenen »Blockwechsel« letztlich überflüssig machen könnten. Wozu sollte man seine geopolitische Bündnisstruktur wechseln, wenn man diese auch, gewissermaßen von innen her, umgestalten könnte nach eigenen Kriterien und Vorstellungswelten? (Wenn man es denn vor hätte: Meloni hat es freilich nicht und bei Simion würde es erst die Zeit zeigen.)
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Über beides, die Besonderheit der identitären Minderheiten und die These Dettmanns, wonach Geopolitik (zunächst) entscheidender sei als Inneres, wäre es ratsam, wenn fundierte Diskussionen in den europäischen Rechtslagern in Gange kämen. Es könnte sein, daß beide Themen in den kommenden »Schicksalswahlen« der europäischen Länder wichtiger denn je werden.
John Beaufort
"Gegen diese These spräche, daß die Sortierungskämpfe im »Westblock«, die Trump und Vance angestoßen haben, den von Dettmann angesprochenen »Blockwechsel« letztlich überflüssig machen könnten." Das spricht nicht unbedingt gegen die These, dass für 'das Regime' der geopolitische Block wichtiger ist als globalistische Positionen, Herr Kaiser. Denn 'das Regime', also unser weltanschaulicher Gegner, ist im Kern kein regierungspolitisches. Das Regime ist vielmehr der globale (vorwiegend in den USA ansässige) Finanzadel, der die Politik bloß als Vehikel seiner finanziellen Interessen nutzt. Die US-Regierung ist diesem Finanzadel nun aus den Händen gerutscht, die Regierungen von Frankreich, Großbritannien und Deutschland aber sind fest in seiner Hand. Nicht der von Ihnen zitierte Westblock betreibt eine Geopolitik sondern der Finanzadel, der den Westblock als sein Instrument geschaffen hat. Damit lässt sich die These des Primats der Geopolitik mit dem Wechsel der US-Regierung vereinbaren. Der "Block" ist nicht der Westen, sondern das globale Großkapital.